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DOI Nr.: https://doi.org/10.25929/stdt-rh26

 

Hanjo Allinger
Technische Hochschule Deggendorf

ABSTRACT


In Nordrhein-Westfalen können Kreisverwaltungen die Ergebnisse ihrer Pflegebedarfsplanung für verbindlich erklären. Geht man behördlich davon aus, dass mehr Pflegebetten angeboten als benötigt werden, kann für Bewohner von neu gebauten Einrichtungen das Pflegewohngeld gestrichen werden. Bei einer Unterversorgung werden dagegen keine zusätzlichen Anreize für weitere Investitionen gesetzt. Gezielt wird damit ausschließlich auf eine Begrenzung des Angebots stationärer Pflegebetten. Liegt ein derartiger Markteingriff im Interesse der Allgemeinheit? Die ökonomische Literatur kennt verschiedene Konstellationen, die regelmäßig zu einem Versagen von freien Märkten führen. Durch staatliche Regulierung könnte in diesen Fällen oft die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt gestärkt werden. Derartige Begründungen für den Markteingriff sind im Bereich der stationären Pflege jedoch nicht ersichtlich. Tatsächlich erscheint es plausibler, dass Kreise mit verbindlicher Pflegeplanung von rein finanziellen Erwägungen getrieben werden. Aber auch diese beruhen entweder auf einer Fehleinschätzung der finanziellen Auswirkungen oder auf rechtlich unhaltbaren Zielen wie dem klar wettbewerbswidrigen Schutz öffentlicher Betreiber vor privater Konkurrenz.
Tatsächlich spricht viel dafür, dass das Landespflegegesetz mit der selektiven Verweigerung des Pflegewohngeldes die nach Art. 12 I GG garantierte Berufsfreiheit  verfassungswidrig einschränkt.

In North Rhine-Westphalia, district administrations can declare the results of their care requirements planning to be binding. If local authorities assume that more places in nursing homes are offered than needed, care housing benefits for residents in newly built facilities can be cancelled. In the case of an under-supply, however, no additional incentives are set for further investments. The sole aim is therefore to limit the supply of nursing home beds. Is such a market intervention in the public interest? The economic literature knows various constellations which regularly lead to failures of free markets. In these cases, state intervention and regulation can often increase the overall welfare. However, such justifications for market interventions are not apparent in the area of inpatient care. In fact, it seems more plausible that district administrations with mandatory care planning are driven by purely financial considerations. However, these are either based on a misperception of financial implications or on forbidden targets such as the anti-competitive protection of public operators against private competition.
In fact, there is much evidence that the Landespflegegesetz, with the selective refusal of care housing benefits for residents of nursing homes, unconstitutionally limits the professional freedom which is protected according to Art. 12 I GG.


KEYWORDS


Stationäre Pflege, verbindliche Pflegeplanung, Pflegewohngeld, Investitionskostenförderung, Überangebot

Inpatient care, mandatory care planning, care housing benefit, public funding of investment costs, oversupply


 

1. Hintergrund
In Nordrhein-Westfalen wurde 2014 das Landespflegegesetz durch das Alten- und Pflegegesetz (APG NRW) ersetzt. Dieses Gesetz verpflichtet die Kreise und kreisfreien Städte zur Planung des stationären Pflegebedarfs1. Anders als in anderen Bundesländern können Kreise und kreisfreie Städte in Nordrhein-Westfalen diese Pflegeplanung per Beschluss für verbindlich erklären. Liegt die bereits angebotene Anzahl von Pflegebetten in einer Gemeinde über den – wie auch immer ermittelten – Planzahlen der Verwaltung, wird den Bewohnern neu errichteter Pflegeheime das Pflegewohngeld versagt.2  
Das Pflegewohngeld wird in NRW Pflegebedürftigen gewährt, die sozialhilfeberechtigt sind oder deren Einkommen und Vermögen nicht ausreicht, die Investitionskosten der Pflegeeinrichtung selbst in voller Höhe zu tragen.3  Die Höhe des Pflegewohngeldes entspricht maximal den betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen4 abzüglich des anrechenbaren Einkommens des Pflegebedürftigen.5 Im Unterschied zur Sozialhilfe gilt hier mit 10.000 Euro Barvermögen ein großzügigeres Schonvermögen sowie geringfügig gelockerte Anrechnungsvorschriften beim eigenen Einkommen.6 Zu einer fehlerhaften Einordnung des Pflegegeldes könnte der Umstand führen, dass das Pflegewohngeld nicht an den leistungsberechtigten Bedürftigen ausgezahlt wird, sondern an die Pflegeeinrichtung.7 Zu allem Überfluss ist der entsprechende Paragraph 14 des Alten- und Pflegegesetzes auch noch mit „Förderung vollstationärer Dauerpflegeeinrichtungen (Pflegewohngeld)“ überschrieben. Beides ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die finanzielle Entlastungswirkung des Pflegegeldes eindeutig bei dem Pflegebedürftigen und nicht bei der Pflegeeinrichtung liegt: Wird eine Pflegeeinrichtung von der Gewährung des Pflegewohngeldes ausgeschlossen, erhöht sich die vom Pflegebedürftigen bzw. dem Sozialhilfeträger zu tragende Rechnungsbetrag um exakt den verwehrten Betrag.
Über den Umweg des Pflegebedürftigen und damit auch auf dessen Rücken wird versucht, die Wettbewerbsposition von Pflegeeinrichtungen, die über den Planbedarf hinaus Betten anbieten, zu verschlechtern. Durch den Wegfall der finanziellen Zuwendungen an den Pflegebedürftigen soll die Attraktivität einer Pflegeeinrichtung so weit gesenkt werden, dass die Nachfrage nach den nicht geförderten Pflegebetten erwartbar zurückgeht und der Neubau einer Pflegeeinrichtung bereits im Vorfeld für den Betreiber unattraktiv erscheint und gar nicht erst gebaut wird.
Drei Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang, denen dieser Beitrag nachgehen möchte.
1)    Gibt es wohlfahrtsökonomische oder volkswirtschaftliche Gründe für einen staatlichen Markteingriff zur Begrenzung des Angebots an Pflegeplätzen?
2)    Welche finanziellen Erwägungen könnten hinter einem solchen Staatseingriff stehen?
3)    Kann mit der selektiven Gewährung von Pflegewohngeld überhaupt das Angebot an Pflegeplätzen beeinflusst werden und ist dies rechtlich zulässig?

1  Vgl. § 7 APG NRW
2  Vgl. § 11 Abs. 7 APG NRW
3  Vgl. § 14 Abs. 1 APG NRW
4  Vgl. § 14 APG DVO NRW
5  Vgl. § 14 Abs. 3 APG NRW   
6  Vgl. § 14 Abs. 3 APG NRW
7  Vgl. § 16 Abs. 4 DVO APG NRW

 

2. Volkswirtschaftliche Motive für eine Begrenzung des Angebots an Pflegeplätzen sind nicht erkenntlich
Volkswirtschaftliche Gründe für einen Staatseingriff in den Pflegemarkt würden dann vorliegen, wenn durch die Bekämpfung eines bestehenden Marktversagens gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsgewinne erzielt werden können.

2.1  Angebotsinduzierte Nachfrage im Bereich der stationären Pflege nicht ersichtlich
Im Bereich der niedergelassenen Ärzte wird häufig eine angebotsinduzierte Nachfrage als Grund für ein Versagen der Märkte und die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe in die soziale Marktwirtschaft durch eine Begrenzung der Kassenzulassungen angeführt. Auch wird in diesem Bereich gelegentlich darauf verwiesen, dass die leichtere Verfügbarkeit von Leistungen auch die Anzahl der nachgefragten Leistungen erhöhen könne. Beide Argumente greifen im Bereich der stationären Pflege nicht. Das Argument der angebotsinduzierten Nachfrage speist sich im ambulanten Sektor letztlich aus Informationsasymmetrien: Der Patient kann nicht beurteilen, welche diagnostischen Verfahren medizinisch für seine Behandlung notwendig sind, und dem Arzt steht eine Vielzahl möglicher Verfahren unterschiedlicher Güte und unterschiedlicher Kosten zur Verfügung, aus denen er wählen kann. In der stationären Pflege gibt es aber kaum eine Möglichkeit für den Leistungsanbieter, den Umfang der gewährten Leistungen zu Lasten der Krankenkassen auszuweiten. Die Einstufung in Pflegestufen erfolgt unabhängig durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen und auch die medizinische Notwendigkeit der stationären Pflege wird im Regelfall zunächst durch eine Pflegekasse festgestellt. Ist dies nicht der Fall, werden nach §43 Abs. 4 SGB XI nur die deutlich geringeren Sätze für häusliche Pflege als Zuschuss für die Heimunterbringung gewährt. Wegen dieser finanziellen Schlechterstellung ist eine „Selbsteinweisung“ für Pflegebedürftige wenig wahrscheinlich.

2.2 Moral Hazard bei der Nachfrage nach Pflegebetten unplausibel
Die zweite Befürchtung, höhere Kapazitäten könnten die Nachfrage erhöhen, greift gerade nicht bei einer Überversorgung, sondern lediglich bei einer Unterversorgung mit Heimplätzen. Bei zu wenig Plätzen in stationärer Dauerpflege wird ersatzweise auf Leistungen der häuslichen Pflege zurückgegriffen, die dann bei einer Aufstockung der Kapazitäten zu einer Mehrnachfrage bei neu verfügbaren Heimplätzen führen. Denkbar ist auch, dass der Umzug vom eigenen Hausstand in eine Pflegeeinrichtung durch einen modernen Neubau im Heimatort erleichtert wird. Aber auch hier ist die Pflegebedürftigkeit exogen gegeben und eine Erleichterung der für Pflegebedürftige und deren Angehörige schwierigen Situation ist eine Pflicht der Solidargemeinschaft.

2.3 Marktzutrittsbeschränkungen führen zu Investitionsstau
Welcher Wohlfahrtsverlust sollte entstehen, wenn das Angebot an Pflegeplätzen größer als die Nachfrage ist? Dass Überkapazitäten die Qualität der Versorgung nachträglich beeinträchtigen, ist nicht zu befürchten – schließlich sind die Mindestversorgungsstandards in der Pflege unabhängig von der Auslastung einer Einrichtung allesamt per Gesetz vorgegeben. Eine Einhaltung dieser Vorgaben kann durch Kontrollen der Aufsichtsbehörden im verfassungsrechtlichen Sinne verhältnismäßiger überprüft werden.
Zu Recht fühlt sich bei einem Überangebot von Apotheken keine Kreisverwaltung (mehr) für dessen Begrenzung zuständig – ganz klar wird dies seit dem wegweisenden „Apotheken-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts [1] als Aufgabe des Marktes gesehen. Das Bundesverfassungsgericht konnte damals keinen Beleg dafür finden, dass selbst ein ruinöser Wettbewerb unter Apotheken die Volksgesundheit gefährden würde. „Nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher, schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“, wie dies auch die Volksgesundheit sei, könne eine derart massive Einschränkung der in Art. 12 I GG garantierten Berufsfreiheit durch die Einführung objektiver Zulassungsvoraussetzungen rechtfertigen [2].
Aus ökonomischer Sicht macht erst das Überangebot Wettbewerb zwischen Anbietern möglich. Und nur durch den Wettbewerb besteht für die Anbieter ein Anreiz, ihre Leistungen zu verbessern.Würden tatsächlich durch die Streichung des Pflegewohngeldes bei „Planübererfüllung“ und die damit verbundenen Wettbewerbsnachteile Neuanbieter abgeschreckt, würden nicht nur keine Neubauten mehr entstehen, sondern mangels Wettbewerbsdrucks auch Investitionen in bestehende Einrichtungen unterbleiben. In der Folge überaltert die Bausubstanz, Pflegestandards sinken. Als 2003 die Pflegeplanung in NRW unter anderem wegen der Bedenken des Bundessozialgerichts gegen die Bindung der Investitionskostenförderung an eine Bedarfsfeststellung abgeschafft wurde8, berechneten die Landschaftsverbände einen Investitionsrückstand von 4,7 Mrd. Euro [3].
Nicht die Beschränkung des Wettbewerbs, sondern seine Stärkung wäre im Interesse des Gemeinwohls. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist schwer nachzuvollziehen, wie es im Interesse der Allgemeinheit liegen könnte, neue Pflegeheime zu verhindern.

3. Finanzielle Motive erscheinen plausibler, sind jedoch auch nicht belastbar
Anders als bei den volkswirtschaftlichen Motiven geht es bei primär betriebswirtschaftlichen oder finanziellen Motiven darum, im Rahmen von marktwirtschaftlichen Verteilungskämpfen individuell besser abzuschneiden. Salopp formuliert steht hier nicht die Größe des zur Verfügung stehenden Kuchens, sondern die Größe des eigenen Kuchenstücks im Mittelpunkt des Interesses.

3.1 Schutz kommunaler Einrichtungen vor Wettbewerbern
Ein betriebswirtschaftliches Motiv scheint bei einigen nordrheinwestfälischen Kreisverwaltungen, die für eine verbindliche Pflegeplanung optieren, nicht unplausibel: der Schutz bestehender und häufig in die Tage gekommener kommunaler Pflegeeinrichtungen vor privaten Mitbewerbern. Dieses Motiv der Wettbewerbsbeschränkung zugunsten öffentlicher Pflegeeinrichtungen ist klar rechtswidrig und wird bei erfolgreicher Beweisführung durch die zuständigen Gerichte sanktioniert werden.

3.2 Vermeidung des Zuzugs von Sozialhilfeempfängern
Mit Hilfe der verbindlichen Pflegeplanung sollen durch die wettbewerbliche Schlechterstellung neuer Anbieter Überkapazitäten vermieden werden. Dadurch – so hofft man in einigen Kreisen – könne verhindert werden, dass durch freie Pflegekapazitäten im eigenen Kreis Pflegebedürftige aus stärker ausgelasteten Nachbarkreisen angelockt werden und für die stationäre Pflege ihren Wohnort in den Kreis verlegen. Befürchtet wird, dass diese „Pflege-Neubürger“ zu Mehrkosten im Sozialhaushalt führen, wenn sie eines Tages im eigenen statt im Heimatkreis Sozialhilfe beantragen würden.
So verquast sich dieses Argument auf den ersten Blick auch anhört, tatsächlich bestätigten dem Autor mehrere Kreisverwaltungen in Nordrhein-Westfalen, dass genau dies ihre größte Sorge und das Hauptargument dafür sei, die Pflegeplanung für verbindlich zu erklären.
De facto baut diese Argumentation jedoch weitgehend auf einer unzulänglichen Rechtskenntnis auf. Mit dem Einzug in ein Pflegeheim eines anderen Kreises wird nämlich gerade nicht, wie in der Argumentation unterstellt, automatisch auch der Sozialhilfeträger des neuen Wohnorts zuständig. Zieht ein Pflegebedürftiger aus einem anderen Landkreis in eine stationäre Pflegeeinrichtung, bleibt nach § 98 Abs. 2 SGB XII weiterhin das auswärtige Sozialamt, in dem der Hilfebedürftige in den zwei Monaten vor der Aufnahme seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat, leistungsverpflichtet. Das gilt sowohl für Bezieher von Sozialhilfeleistungen als auch für den Fall, dass sich der Sozialhilfebedarf erst Jahre nach dem Umzug in das Pflegeheim manifestiert. Die Leistungsverpflichtung geht somit nur dann über, wenn der gewöhnliche Aufenthaltsort bereits mindestens zwei Monate vor Heimeintritt in den Kreis verlagert wurde – etwa in eine ambulant betreute Wohngemeinschaft. Diese Fälle sind jedoch erstens zahlenmäßig zu vernachlässigen und zweitens durch die Bekämpfung freier Kapazitäten in der stationären Pflege nicht zu verhindern.

3.3  Hoffnung auf Einsparungen
Kreisverwaltungen könnten sich womöglich Hoffnung auf direkte Einsparungen durch den Wegfall der Pflegewohngeldzahlungen machen. Tatsächlich ist jedoch auch diese Hoffnung weitgehend unbegründet: Da die betriebsnotwendigen Investitionskosten einer stationären Einrichtung beim Wegfall des Pflegewohngeldes den Pflegebedürftigen direkt in Rechnung gestellt werden dürfen9, führt dies bei Sozialhilfeempfängern über den Umweg des gestiegenen Hilfsbedarf des Pflegebedürftigen im selben Umfang zu Mehrleistungen der Sozialhilfe. Eine Ausnahme sieht § 75 Abs. 5 für gesondert berechnete Investitionskosten nach § 82 Abs. 4 vor, wenn keine Vereinbarung zur Übernahme zwischen dem Träger der Sozialhilfe und der Pflegeeinrichtung geschlossen ist.
Eine juristische Hintertür für den Sozialhilfeträger wird nach übereinstimmender Auffassung einschlägiger Kommentare damit jedoch nicht geöffnet, denn zum einen hat der Einrichtungsträger einen Anspruch auf Prüfung des Abschlusses einer Vereinbarung gegenüber dem Leistungsträger [5]. Zum anderen „rechtfertigt der Umstand, dass ein Pflegeheim nach dem Landesrecht nicht gefördert wird, nicht die Entscheidung des Trägers der Sozialhilfe, den Abschluss einer Vereinbarung mit dem Heimträger nach § 75 Abs. 5 S. 3 zu verweigern [...]. Ebenso kann der Abschluss einer Vereinbarung [...] nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, im Zuständigkeitsbereich des Trägers der Sozialhilfe seien bereits genügend geförderte Pflegeplätze oder sogar ein Überhang vorhanden (OVG Lüneburg, Urt. v. 14.3.2001 – 4 L 2155/00)“ [6]. Eine derartige Begründung würde gegen die in Art. 12 GG garantierte Berufsfreiheit verstoßen [7].
Daraus folgt, dass es zu Einsparungen für die öffentliche Hand nur durch die sehr geringen Unterschiede in den Vorschriften zur Einbringung eigenen Einkommens und Vermögens bei Pflegewohngeld und Sozialhilfe kommen kann. Während beim Pflegewohngeld Barvermögen bis 10.000 Euro nicht eingebracht werden muss, ist der Freibetrag in der Sozialhilfe für Menschen über 60 Jahre nur 2.600 € hoch.10  Für das monatliche Einkommen gilt darüber hinaus beim Pflegewohngeld ein zusätzlicher Selbstbehalt von 50 Euro. Die des Weiteren angeführten Absetzbeträge für Unterkunft und Verpflegung sowie die nicht von den Pflegekassen abgedeckten Pflegkosten müssen von der Sozialhilfe gleichermaßen übernommen werden. Die Differenz zwischen beiden Beträgen für das Barvermögen und die 50 Euro monatlich beziffern den theoretisch maximal zusätzlichen Konsumspielraum von Pflegewohngeldempfängern gegenüber Sozialhilfeempfängern und damit die maximalen Einsparungen für die öffentliche Hand. Die Mehrzahl der Pflegewohngeldempfänger kann diesen Spielraum mangels Vermögens jedoch bei weitem nicht ausschöpfen.
Bei einkommenslosen pflegebedürftigen Sozialhilfeempfängern könnte die öffentliche Hand durch den Wegfall des Pflegewohngeldes also nicht einen Euro einsparen, da diese weder über das anrechnungsfreie Barvermögen in Höhe von 10.000 Euro verfügen, noch ein laufendes Einkommen haben, bei dem die Unterschiede in der monatlichen Anrechnung zum Tragen kommen. Gleiches gilt für die große Gruppe der vermögenderen Pflegebedürftigen, die ohnehin weder sozialhilfe- noch pflegewohngeldberechtigt sind.

9 Vgl. § 82 Abs. 4 SGB XII
10 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 a) BSHG§88Abs2DV 1988 - Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII

 

4. Selektiv verweigertes Pflegewohngeld ist zur Pflegebetten-Steuerung ungeeignet und rechtlich unzulässig
Wenn weder bei einkommenslosen Sozial-hilfeempfängern noch bei Pflegebedürftigen ohne Hilfebedarf durch den Wegfall des Pflegewohngeldes nennenswerte Einsparungen für die öffentliche Hand erzielt werden können, bedeutet dies umgekehrt aber auch, dass den Bezugsberechtigten kein finanzieller Nachteil aus der Streichung des Pflegewohngeldes entstünde. Materiell belastet würden lediglich leistungsberechtigte Nicht-Sozialhilfeempfänger dadurch, dass sie mehr, bzw. früher ihr eigenes Barvermögen einbringen müssten, da sie nicht länger über den Anrechnungsfreibetrag von 10.000 Euro Barvermögen verfügen könnten, sondern nur über den geringeren der Sozialhilfe. Typischerweise wird bei ihnen durch das Pflegewohngeld der Bezug von Sozialhilfe-leistungen um einige Monate verzögert, nicht aber abgewendet, da die laufenden Kosten der Lebenshaltung ja weiterhin aus eigener Kraft bestritten werden müssen, solange dies möglich ist und Sozialhilfebedarf noch nicht gegeben ist.
Die Gruppe der finanziell Benachteiligten ist a) so klein und b) nur so überschaubar benachteiligt, dass ein gravierender Nachfrageausfall für einen Betreiber wohl nicht zu befürchten ist. Ein bauwilliger Betreiber wird sich dadurch vom Bau einer neuen Einrichtung kaum abbringen lassen. Rechtlich kann ihm weder Bau noch Betrieb untersagt werden. Es steht also zu befürchten, dass die gewünschte Steuerungswirkung, die Bekämpfung von amtlich vermuteten Überkapazitäten durch die Streichung des Pflegewohngeldes, nicht zu erreichen ist.
Überaus zweifelhaft ist darüber hinaus, ob diese landesgesetzliche Regelung mit der Berufsfreiheit in Art. 12 GG vereinbar ist. Juristisch bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Landesgesetzes bzw. seiner Anwendung. Bereits 2001 urteilte das Bundessozialgericht über ein ähnlich gelagertes Landesgesetz in Rheinland-Pfalz und stellte klar, dass es den Ländern „im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit und aus dem Gesichtspunkt der Bundestreue untersagt [ist], Pflegeeinrichtungen, die von den Pflegekassen zugelassen sind, als nicht bedarfsgerecht von der finanziellen Förderung auszuschließen“ [8]. Bei einem Überangebot dürfe die Förderung von stationären Einrichtungen nicht für einzelne Leistungsanbieter, sondern nur generell für alle Heime eingestellt werden [9], führt das Bundessozialgericht in seinem Urteil aus:. „Entschließt er [der Landesgesetzgeber, Anm. d.  Verf.] sich aber zu einer Förderung, ist diese aus verfassungsrechtlichen Gründen wettbewerbsneutral auszugestalten.“ [9] Der vom Bundesgesetzgeber gewünschte Leistungswettbewerb unter den Leistungserbringern dürfe keinesfalls beeinträchtigt werden [10].
Die Vermutung, dass das Alten- und Pflegegesetz NRW in Hinblick auf die Konsequenzen einer verbindlichen Pflegeplanung verfassungswidrig ist und daher nicht ewig Bestand haben wird, erscheint vor diesem Hintergrund nicht wirklich gewagt. Zumindest aber sei den Kreisverwaltungen geraten, den überschaubaren Einsparmöglichkeiten alle Nachteile gegenüberzustellen. Dazu zählen neben den Nachteilen durch unterbleibende Investitionen auch die Kosten durch mit Sicherheit zu erwartende Rechtsstreitigkeiten.

5. Literatur
[1]    BVerfG, Urteil vom 11.06.1958 (BVerfGE 7,377).
[2]    BVerfG, Urteil vom 11.06.1958 (BVerfGE 7,377, Leitsatz 6. c).
[3]    Landtag Nordrhein-Westfalen (2003): Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes (Landespflegegesetz Nordrhein-Westfalen - PfG NW). Drucksache 13/3498, vom 03.02.2003.
[4]    Landtag Nordrhein-Westfalen (2003): Drucksache 13/3498, vom 03.02.2003.
[5]    Vgl. BeckOK SozR/Siebel-Huffmann SGB XII § 75 Rn. 7.
[6]    Grube/Wahrendorf (2014): SGB XII. 5. Auflage (Rn. 54).
[7]    Vgl. BeckOK SozR/Siebel-Huffmann SGB XII § 75, Rn. 7.
[8]    BSG: Urteil vom 28.06.2001. B 3 P 9/00 R 2. Leitsatz.
[9]    BSG: Urteil vom 28.06.2001. B 3 P 9/00 R Randziffer 22b.
[10]    BSG: Urteil vom 28.06.2001. B 3 P 9/00 R Randziffer 25.

 

Prof. Dr. Hanjo Allinger

Hanjo Allinger studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Passau. Ein Stipendium der Harvard-University ermöglichte ihm 1998/1999 einen Forschungsaufenthalt in Boston. 2003 promovierte Allinger an der Universität Passau in Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg mit einer Arbeit zur Einkommensdiskriminierung. 2008 wurde er an der Cologne Business School in Köln zum Professor berufen, seit 2010 hat er an der TH Deggendorf eine Professur für Volkswirtschaftslehre inne. Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen im Bereich der Bildungs- und Gesundheitsökonomik.
Neben seiner Tätigkeit als Professor an der THD ist Allinger Geschäftsführer des Instituts für empirische Wirtschafts- und Sozialforschung INWISO in München. 2012 wurde er in Anerkennung seiner Forschungsleistungen in die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste gewählt.

Hanjo Allinger studied economics at Passau University. A scholarship of Harvard University during the 1998/1999 academic year allowed him to deepen his research in Boston. In 2003, he received his doctorate from Passau University for his dissertation on labor market discrimination that he elaborated in cooperation with the Institute for Employment Research, the research institute of the Nuremberg-based German Federal Employment Agency. In 2008, he was appointed professor at Cologne Business School. Since 2010, he has been holding a professorship for economics at Deggendorf Institute of Technology. The focus of his research lies in the fields of educational economics and health economics.
Besides his professorship in Deggendorf, Hanjo Allinger is managing director of INWISO, an institute for empirical economic and social research, located in Munich. In recognition of his research activities, he was elected member of the European Academy of Sciences and Arts in 2012.

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